Langstrecke mit dem Elektroauto

Langstrecke mit dem Elektroauto

1.500 Kilometer mit dem Elektroauto durch die Ladewüste Deutschistan.
Ein Abenteuer, das man mit einem Verbrenner-Fahrzeug so nicht erleben kann. Manche Menschen stellen sich das ungefähr so abenteuerlich vor, wie die erste Fahrt mit einem Automobil damals durch Bertha Benz. Da gab es ja auch noch keine Tankstellen, so wie es heute angeblich keine Lademöglichkeiten für Elektroautos gibt.

Teil 1 – Fahrt an die Ostsee

Es gibt viele Vorurteile gegen Elektroautos. Eines davon ist die Behauptung, dass die Fahrzeuge nicht langstreckentauglich sind.
Aber stimmt das so?
Wie immer will ich nicht einfach die Meinung anderer nachquasseln, sondern das einfach mal selbst erFAHREN.
Unsere bisher längste Strecke lag bei ungefähr 250km (eine Richtung, also 500km gesamt) mit Lademöglichkeit am Ziel. Längere Strecken mit der Notwendigkeit, unterwegs zu laden, hatten wir bisher noch nicht ausprobiert.
Jetzt standen über 700 Kilometer an und eine Woche später natürlich wieder zurück.

Aufgrund der vielen negativen Berichte hatte ich vor der Strecke doch einigen Respekt.
Eigentlich ist das ja mit einem Elektroauto gar nicht möglich. Und die Medien hatten im Sommerloch auch genau dieses Thema als Aufhänger gefunden:
Langstrecke mit dem Elektroauto geht nicht!

Einmal Ingersheim – Dassow bitte!

Langstrecke mit dem Elektroauto

Die Reise sollte von Ingersheim (bei Stuttgart) nach Hamburg gehen und dann noch nach Barendorf, einem Ortsteil von Dassow an der Ostsee.
Vorab hatte ich alles ganz genau geplant:
Die Vermieter der Ferienwohnungen in Hamburg und Barendorf waren sehr aufgeschlossen und wollten jeweils eine Lademöglichkeit anbieten, das war sehr nett.
Da ich der Ladeinfrastruktur an der Autobahn nicht ganz vertraute, hatte ich mir die Mühe gemacht und über „A better routenplaner“ und „Goingelectric“ alle Ladestationen mit CCS (dem schnellen Ladeanschluss) herausgesucht und mit Rastplatz, Entfernung und Anzahl der Ladeplätze + Anbieter notiert.

Ein bisschen Overkill vielleicht, aber sicher ist sicher.
Zusätzlich hatte ich im Goingelectric-Forum noch nach Vorschlägen für die optimale Ladestrategie nachgefragt.

Langstrecke mit dem Elektroauto

Nach Hamburg waren es 634km.

Die erste angepeilte Ladestation war der Rasthof Lohfelder Rüssel mit 3x CCS, der wurde im Forum empfohlen und sollte gut funktionieren.
Die erste Etappe betrug also 324km. Das Auto mit 3 Personen und viel Gepäck beladen zeigte beim Start 505km Reichweite an.
Das war allerdings eine Schätzung, basierend auf unserem bisherigen durchschnittlichen Verbrauch und der basierte überwiegend auf Landstraßen-Fahrten.

Für die Autobahn setze ich da Faktor 1,5 an, das passt ganz gut. Also 1km im Navi verbraucht 1,5km Reichweite im Bordcomputer (BC). Damit sollte es mit theoretisch 336km (505/1,5) eigentlich reichen.

Wir fuhren mittwochs um 7 Uhr los, die Autobahn war gut gefüllt, aber noch angenehm zu fahren. Tempo 120-140 war möglich, also ganz normales Reisetempo, wie bei einem Verbrenner.
Natürlich gibt es Bekloppte, die die Strecke mit 200km/h durchbrettern wollen, aber wir wollen ja entspannt unterwegs sein und gesund ankommen.

Unser Hyundai Kona fährt sich auch auf der Autobahn sehr souverän, angenehm, relativ leise (im Mazda 5 vorher war bei Tempo 130 nur noch Gebrumm zu hören), die Sitze sind sehr bequem. Das Wetter ist gut.
Eigentlich sollte alles klappen.
Aber irgendwann habe ich mir dann doch Gedanken gemacht. Als Anfänger traut man sich eben nicht, das Auto bis auf 10km Rest leer zu fahren. Was, wenn die Ladesäulen im Lohfelder Rüssel defekt, blockiert oder belegt sind?
Daher haben wir eine Sicherheitspause eingelegt und nach 246km mit 129km Rest an der Raststätte Großenmoor Ost eine kleine Pause gemacht, kurz aufs WC und 50km in den Akku, damit man im Notfall weiter kommt.

Langstrecke mit dem Elektroauto

Direkt gegenüber der Raststätte stand eine einsame Säule von Tank&Rast. Die Säule war frei, aber leider nicht gut gepflegt und in technisch schlechtem Zustand. Auf dem Display wurde beim Versuch, die Säule mit einer RFID-Karte freizuschalten, angezeigt: „Bitte nutzen Sie die App“.
Ich habe die ENBW-App verwendet, vorsorglich hatte ich die Karten von ENBW, EWS-Schönau, Plugsurfing und NewMotion dabei und die Appls von ENBW und Maingau auf dem Handy.
Daran erkennt man auch, was für ein Durcheinander derzeit noch herrscht. Die Politik müsste hier dringend Vorgaben machen, aber die Damen und Herren in Berlin scheint das nicht zu interessieren.

Die App hat die Säule freigeschalten und angezeigt „Die Ladung startet“.
Das war der Säule aber egal, die hat sich nicht gerührt. Also nochmal probiert, wieder „Die Ladung startet“, aber an der Säule keine Reaktion.
Etwas genervt habe ich an der Säule herumgedrückt und auf einmal kam die Meldung „Bitte Auto anstecken“. Das habe ich brav gemacht und sofort ist die Ladung gestartet. Erleichterung!
Kurze Pinkelpause, danach wollten wir weiterfahren. An der Säule konnte man die Ladung nicht beenden – „Bitte benutzen Sie die App“. Die ENBW-App meldete aber „keine Aktive Ladung“. Das war jetzt etwas ärgerlich und hier wäre vielleicht schon der erste Journalist gestrandet.
Die Säule hatte aber einen Notaus-Schalter und da hatte ich keine Hemmungen, den auch zu betätigen. Wenn das Ding nicht richtig funktioniert, dann ist das ja nicht mein Problem.
Die Ladung wurde sofort beendet und das Auto freigegeben. Puh, wenn das die Zukunft ist? In der Ladesäulenliste von Goingelectric steht die Säule allerdings als DEFEKT, ich hatte dort wohl nicht als einziger Probleme.

Leider wurde die Ladung von ENBW trotzdem registriert und berechnet, es handelte sich also nicht um eine Gratis-Ladung.

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Während wir geladen haben, parkte ein Verbrenner-Fahrer neben uns. Trotz eindeutiger Beschilderung und obwohl der Rastplatz weitgehend leer war.
Zugeparkte Ladesäulen sind bekanntlich eines der größten Probleme für Elektroautos. Sei es aus Dummheit, Unwissenheit oder Ignoranz. Bei dieser Ladesäule war das aber diesmal kein Problem, da wir sowieso gerade weiterfahren wollten. Nach 18 Minuten Pause und mit 14 kWh zusätzlichem Strom waren wir wieder auf der Strecke.

Das nächste Ziel war der Lohfelder Rüssel.

Zur Zeit komplette Baustelle auf der Autobahn, aber trotzdem gut erreichbar. Der Rasthof war komplett mit Solarzellen bedeckt und an den Ladesäulen standen 2 große PV-Tracker.
Hier meint es wohl jemand ernst mit erneuerbarer Energie und Elektromobilität.

Langstrecke mit dem Elektroauto

Die Ladesäule ließ sich problemlos mit der RFID-Karte von ENBW freischalten. Sofort startete die Ladung. Genau so soll es sein.

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Nur leider kam die Ladesäule entgegen der Beschriftung „100kW DC“ nicht über 50kW hinaus. Laut Forum soll die Säule wohl in der Leistung beschränkt sein.
Wir haben eine ausgiebige Pause gemacht, mit Picknick und kurzem Powernapping. Da wir morgens um 7 Uhr ohne Frühstück losgefahren sind (das kann man unterwegs), konnten wir hier nicht nur die Akkus des Fahrzeugs aufladen, sondern auch uns selbst mit Energie versorgen. Vermutlich hätten wir das mit dem Verbrenner auch gemacht. Insgesamt standen wir ziemlich genau eine Stunde auf dem Parkplatz. Danach waren 38 kWh mehr im Auto, wir waren wieder fit und satt und es ging weiter.

Nächster geplanter Stopp war die Raststätte Lüneburger Heide Ost.
Dort gab es eine Ladesäule von ENBW und 4 Ladesäulen von Ionity.
Die Strecke dorthin erwies sich aber fast durchgehend als eine einzige Baustelle. Durch die erzwungen niedrige Geschwindigkeit lag der Verbrauch unseres Kona so niedrig, daß es eigentlich problemlos weiter bis Hamburg gereicht hätte. Da der Stopp vorher in Großenmoor auch nur wegen Reichweitenangst benötigt wurde, hätte man die Strecke theoretisch sogar mit einem Stopp durchfahren können. Realistisch sind 2 Stopps mit dem Kona.

Nach kurzer Überlegung entschieden wir uns aber, trotzdem zu laden, denn dann müssten wir in der Ferienwohnung in Hamburg nicht wegen einer Lademöglichkeit improvisieren und könnten am Samstag direkt ohne Zwischenladung weiter an die Ostsee fahren.
Also raus an die Raststätte – übrigens sind mittlerweile erfreulich viele Raststätten mit einer Beschilderung „Elektroladesäule“ versehen, ob die Dinger auch funktionieren, ist ein anderes Thema.
Wir haben die ENBW-Säule angesteuert, da Ionity eine sehr kundenunfreundliche Preispolitik zeigt und Ladepreise von 79cent pro kWh aufruft. Da ein Liter Diesel ca. 11kWh Energie entspricht, wäre das ein Spritpreis von über 8 Euro pro Liter!

Die ENBW-Säule zeigte eine Fehlermeldung „Notaus gedrückt“ und ließ sich nicht zur Mitarbeit bewegen. Da wir die Fahrt sowieso zur ERFAHRUNG der e-Mobilität geplant hatten, habe ich dann einfach noch die an der Ladesäule angebrachte Hotline angerufen. Da ging auch sofort jemand dran und es entwickelte sich ein freundliches Gespräch. Die Säule wurde aus der Ferne neu gestartet, nur leider änderte das nichts daran, dass sie unser Auto nicht mit Energie versorgen wollte. Nach einigen Versuchen wollte ich aufgeben. Allerdings loslassen wollte die Säule unser Auto auch nicht mehr. Der Stecker war verriegelt. Also wieder die Notaus-Taste gedrückt und der Stecker ließ sich abziehen. Als ich dem Hotline-Menschen erzählte, dass wir mit dem Elektroauto von Stuttgart nach Hamburg unterwegs wären, meine er „Sie sind aber mutig“.
Anscheinend vertrauen noch nicht einmal die Versorger ihrer Infrastruktur.

Langstrecke mit dem Elektroauto
Die einsame ENBW-Ladesäule am Rand der Raststätte will uns leider keinen Strom geben

Aber kein Problem, gegenüber waren ja noch die 4 Ionity Ladesäulen.
Ionity hat mit seiner Preispolitik leider einige Roaminganbieter verschreckt. So ist seit dem Frühjahr keine Ladung mehr als ENBW-Kunde möglich, mit der Maingau-App ging das aber problemlos und für 39cent/kWh

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4 Ladesäulen ist natürlich etwas anderes, als eine einzelne Säule, die nicht funktioniert. (wie das noch besser geht, zeigt allerdings ein anderer Anbieter auf der Rückfahrt!)
Alle 4 Säulen waren frei, die Ladung ließ sich problemlos mit der Maingau-App starten und der Kona wurde mit bis zu 73kW betankt. Die Säulen können angeblich bis 350kW, der Kona ist allerdings bei ca. 70-75kW am Limit. Ab ca. 75% Akku-Füllstand wird es dann auch recht schnell deutlich langsamer, daher empfiehlt sich auch eine Ladestrategie, bei der man nicht über 80% laden muss, sonst wird es doch etwas zäh. Nach einer halben Stunde, von der ungefähr 15min an der defekten ENBW-Säule verplempert waren, reichte die Energie dann theoretisch bis an das 2. Ziel an der Ostsee und es ging weiter.

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Die restliche Strecke bis Hamburg war dann noch etwas zäh, mit viel Verkehr, Baustellen und Stau. Nach 644km gefahrener Strecke und 7:15h reiner Fahrzeit, sowie ca. 1,5 Stunden Pause (Laden, Pinkeln, essen, ausruhen) waren wir am ersten Ziel unserer Reise angekommen.
Da wir mit dem Verbrenner sicher auch 2 Pausen gemacht hätten, incl. Essen, Pinkeln, Ausruhen, schätze ich die zusätzlich benötigte Pausenzeit durch das Laden auf ca. 30min, das entspricht ungefähr der Zeit, die wir wegen der Ladesäulen-Zicken vergeudet haben.

Die Fahrt war insgesamt bis hier sehr angenehm und entspannt und der Energieverbrauch über die Gesamtstrecke lag bei nur 16,1kWh (laut Bordcomputer), das entspricht bei Verbrennern, ca. 1,6l Sprit je 100km.

Langstrecke Stuttgart – Hamburg ist also möglich. Der Hyundai Kona schafft das Problemlos. Nur die Lade-Infrastruktur lässt deutlich zu wünschen übrig.

Weiter an die Ostsee

Nach 3 Tagen in Hamburg mit Miniatur-Wunderland und vielen Sehenswürdigkeiten, aber wegen Corona leider ohne dem geplanten Musical „Der König der Löwen“, ging es weiter an die Ostsee.


Barendorf, ein Ortsteil von Dassow, in der Nähe von Travemünde, war unser Ziel.
Lustigerweise zeigte der Kona bei der Abfahrt 273km Reichweite an, 12km mehr, als bei der Ankunft 3 Tage zuvor. Das Auto hat wohl im Stand neue Kräfte gesammelt, ansonsten wird es wohl an der niedrigeren Temperatur am Samstag früh gelegen haben.

Langstrecke mit dem Elektroauto

Die Fahrt aus Hamburg hinaus war etwas stressig, danach war die Autobahn aber recht wenig befahren. Gemütlich ging es bis an unser Ziel und mit einem Verbrauch von nur 12,6kWh pro 100km kann man nicht meckern.

Das Ziel war eine Ferienwohnungs-Anlage. Wir hatten dort vorher wegen einer Lademöglichkeit angefragt und das war auch problemlos möglich. Der Hausmeister hat uns an einen Parkplatz ein Kabel gelegt und der Kona konnte in Ruhe mit 2kW wieder voll geladen werden. Das hat zwar über 24h gedauert, aber mehr als 2kW sollte man an einer unbekannten Leitung nicht ziehen. Aber wir waren ja auch eine Woche dort.
Den benötigten Strom haben wir geschätzt, aufgerundet und natürlich auch bezahlt!
Es ist toll, wenn einem eine Lademöglichkeit zur Verfügung gestellt wird, daher sollte man das auf jeden Fall auch bezahlen. Anständige Menschen tun das!

Sowohl der Vermieter als auch der Hausmeister waren sehr interessiert und haben uns mitgeteilt, dass die Eigentümergemeinschaft die eMobilität zwar bisher nicht auf dem Schirm hatte, das aber nach unserer Anfrage bereits eine richtige Ladmöglichkeit in Planung sei und in Kürze eine Wallbox für Gäste installiert werden sollte – Wow!

Die Langstrecke Ingersheim (bei Stuttgart) an die Ostsee mit ca. 730km Strecke ist also problemlos möglich. Die Fahrt war sehr angenehm und wäre mit einem Verbrenner auch nicht viel schneller gewesen. Allerdings besteht durchaus das Risiko, dass wegen der mangelhaften Ladeinfrastruktur eine solche Fahrt auch mal anders ausgehen kann. Es ist doch immer noch ein Abenteuer. Spätestens, wenn VW ab September ihre ID.3 massenhaft in den Markt drückt, könnte es an den einzelnen Ladesäulen zu interessanten Erlebnissen kommen.

Verpasse nicht die Rückfahrt – auch die habe ich gut dokumentiert:
730km von Dassow an der Ostsee bis Ingersheim in Baden-Württemberg. Eine kleine Langstrecke mit dem Elektroauto.


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Lesetipp:
Meine neue Geschichte:

Akku 2.0 – Energie für die Menschheit.
Ein Umwelt-Krimi

Der junge Chemiker Jan Meier bekommt nach seinem Studium eine Anstellung im Batterie-Forschungs-Institut von Professor Schmidt. Dort lernt er Suzan kennen und verliebt sich in sie.
Professor Schmidt weiht Jan in ein Geheimnis ein:
Er hat eine neue Akkutechnik erfunden, die eine hundertfach höhere Kapazität hat, als herkömmliche Systeme.
Suzan, Jan und der Professor forschen tagsüber im Institut und nachts im geheimen Labor.
Nachdem Mitarbeiter des Instituts ums Leben kommen, müssen sie erkennen, dass irgend jemand hinter ihrem Geheimnis her ist.
Als dann auch noch der Professor verschwindet und die Polizei vor der Tür steht, beginnt für Suzan und Jan eine halsbrecherische Flucht. Nur eine Person kann ihnen jetzt noch helfen – Suzans Mutter. Die lebt allerdings am anderen Ende der Welt.